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bildwiderstand. garzweiler in film und fotografie
Eröffnung 13. Mai 2023, 15 Uhr
Aufgrund der großen Nachfrage verlängern wir die Ausstellung bis zum 22.10.2023.
Bernd und Hilla Becher, Laurenz Berges, Bernd Boor, Susanne Fasbender, Claudia Fährenkemper, Gábor Fekete, Matthias Jung, Gregor Schneider
Das rheinische Braunkohlerevier Garzweiler II, nur wenige Kilometer von Aachen-Kornelimünster und dem Kunsthaus NRW entfernt, gilt als eines der größten Tagebauprojekte Europas. In dem Gebiet zwischen Köln, Aachen, Düsseldorf und Mönchengladbach verschwanden über mehrere Jahrzehnte Dörfer, Höfe und Ackerflächen zugunsten des Kohleabbaus in einem gigantischen Baggerloch. Seit der Zusammenlegung mehrerer Gruben zum Großtagebau im Jahr 1983 sind der Kohleabbau und seine Folgen immer wieder von Künstler:innen fotografiert oder gefilmt worden. Die Ausstellung bildwiderstand schaut von den Klimaprotesten der Gegenwart (Hambacher Forst, Lützerath) zurück auf die Anfänge der Auseinandersetzung vor vierzig Jahren. Sie versucht einen Rückblick in Fotografie und Film, um aus der Gegenwart heraus über die Zukunft der Region nachzudenken.
Die Fotografien von Bernd Boor stammen aus den frühen 1980er Jahren, als der Tagebau Garzweiler diesen Namen bekam und Anwohner erstmals gegen ihre Umsiedlung protestierten. Claudia Fährenkemper nahm in den 1990ern die entstandene wüstenähnliche Landschaft in den Fokus ihrer Kamera. Laurenz Berges zeigt einen Ausschnitt aus seiner Serie über leerstehende Häuser in Etzweiler, fotografiert in den 2000er Jahren.
Die Künstlerin und Filmemacherin Susanne Fasbender begann 2012 mit einer filmischen Recherche. In Interviews und dokumentarischen Filmsequenzen hielt sie das Leben der umgesiedelten Anreiner des Tagesbaus und später der Protestierenden im Hambacher Forst in Filmaufnahmen fest. Von 2012 bis 2018 entstanden drei Filme über die Entwicklung des Tagebaus und des Widerstands gegen seine Ausweitung. Mit der Trilogie Brand blickt Fasbender tief in Geschichte und Gegenwart des Rheinischen Braunkohlereviers und geht mit ihren Recherchen zurück bis in die 1950er Jahre. Dabei suchte Fasbender den Kontakt zu den in den Dörfern lebenden Fotograf:innen und Bewohnern, die den Verlust ihres Lebensraums in Fotografien festhielten. Präsentiert wird Brand I-III in der Ausstellung als Mehrkanal-Installation, die Susanne Fasbender eigens für das Kunsthaus NRW eingerichtet hat.
Auch der in Mönchengladbach-Rheydt lebende Künstler Gregor Schneider hat sich viele Jahre immer wieder mit dem Tagebau in seiner Heimatregion beschäftigt. Das Material für sein international bekanntes Langzeit-Projekt »Haus u r« in Rheydt stammt zu großen Teilen aus den sterbenden, geräumten Dörfern; es entstanden über die Jahre Fotografien und Filme. Gregor Schneider ging im Rahmen seines künstlerischen Interesses Verbindungen mit aktivistischen Initiativen ein, etwa zur documenta fifteen mit fridays for future und der Initiative Lützerath lebt! für das Ausstellungsprojekt another world is possible. Im Kunsthaus NRW zeigt er erstmals als Videoinstallation die beiden neuen Filme Sonniger Untergang und Kunstlandschaft (2022). Gefilmt wurden sie an der Abbruchkante mit ihren seltsam touristisch anmutenden Aussichtsplattformen.
Die Videoinstallation ist im alten Brauhaus der Klosteranlage zu sehen, zusätzlich zeigen wir im Haupthaus Fotografien aus seiner Serie Neu-Garzweiler, aufgenommen in der als Ersatz für die umgesiedelten Bewohner errichteten Reißbrett-Ortschaft mit ihren aus Entschädigungsgeldern finanzierten Neubauten.
Am Beginn der Ausstellung stehen zwei fotografische Aufnahmen von Bernd und Hilla Becher. Sie fotografierten bereits in den 1960er Jahren die 1962 aufgegebene Grube Laurweg in Kohlscheid (bei Aachen). Diese Industrie-Fotografien der Bechers sind mehr noch als jene Albert Renger-Patzschs ins ikonische Bildgedächtnis eingegangen. Vermutlich lag dies an einer Kombination mehrerer Faktoren: In den westlichen Industrieländern wurden damals die meisten Bergwerke aufgegeben, die Ära der Schwerindustrie schien zu Enden zu gehen. Indem die Bechers Gebäude extrem sachlich-nüchtern, wie Pflanzen in botanischen Studien, porträtierten, gaben sie diesem Epochenwandel ein einprägsames Bild. Doch nach dieser großen Aufmerksamkeit geschah etwas Merkwürdiges: Die Bilder der Bechers waren so prägnant, dass sich danach kaum noch eine künstlerische Fotograf:in an dieses Motiv traute. Dabei hatte es zuvor eine lange Tradition der Industriefotografie gegeben, wie etwa bei Albert Renger-Patzsch (1897 – 1966).
Die Bildproduktion zu verschiedenen Zeiten spiegelte immer auch den jeweiligen gesellschaftlichen Konsens bzw. die Auseinandersetzungen über die Industrialisierung und ihre Folgen. 1972 war der Bericht Die Grenzen des Wachstums des Club of Rome erschienen, in den folgenden Jahren sprach man im Hinblick auf eine Nachhaltigkeit der Ressourcennutzung von einem Zeitenwechsel. Es kam in den 1980er Jahren anders: Der Ressourcenverbrauch stieg nach der öffentlichen Diskussion über die Grenzen des Wachstums dramatisch an – für vier Jahrzehnte. Mit den inzwischen konkret erfahrbaren Folgen des Klimawandels, der aktuellen Energiekrise sowie wachsenden Bewegungen des Widerstands – Fridays for Future, Hambacher Forst und Lützerath, Aktionen der Letzten Generation – wird diese Geschichte vom Verhältnis des Menschen zu seinem Lebensraum weitererzählt.
An dieser Erzählung beteiligt sich auch diese Ausstellung. Die Proteste zum Erhalt des Hambacher Forsts markieren einen Umbruch in der Fotografie zum Thema Kohleindustrie. Waren zuvor nur vereinzelt Fotograf:innen im Tagebaugebiet unterwegs, so dokumentieren von diesem Moment an viele Menschen die Geschehnisse – den Forst, die Aktivisten, Baumhäuser, die Polizeieinsätze. Die vielen im Internet kursierenden Aufnahmen stammen nicht nur von Künstler:innen und professionellen Fotograf:innen, zahlreiche, Journalisten, Aktivisten, Protestierende, Sympathisanten dokumentierten die Landschaft und den Widerstand. Entsprechend veränderte sich die Medienpräsenz. Als Bildmotiv rückte der Widerstand ins Zentrum der Aufmerksamkeit gegenüber dem Verlust von Dörfern und Landschaft. Die Ausstellung zeigt dies in einer pointierten Auswahl mit Aufnahmen des in Erftstadt lebenden Fotografen Matthias Jung sowie des Musikers Gábor Fekete, der die Protestierenden im Hambacher Forst begleitete.
gesprächsreihe »talking about… bildwiderstand«:
Dokumentation der Ausstellungsgespräche, Mai bis Oktober 2023
»talking about... bildwiderstand«
04.06.2023, 15:00 Uhr
talking about... bildwiderstand #1: Susanne Fasbender und Matthias Jung
17.08.2023, 15:00 Uhr
talking about... bildwiderstand #2: Laurenz Berges
31.08.2023, 15:00 Uhr
talking about... bildwiderstand #3: Claudia Fährenkemper & Bernd Boor
19.10.2023, 15:00 Uhr
talking about... bildwiderstand #4: gregor schneider
22.10.2023, 15:00 Uhr
finissage – bildwiderstand – ein Programm zum Hambacher Forst
künstler:innen:
bildwiderstand. garzweiler in film und fotografie
Matthias Jung
bildwiderstand. garzweiler in film und fotografie
Gregor Schneider
bildwiderstand. garzweiler in film und fotografie
Bernd Boor
bildwiderstand. garzweiler in film und fotografie
Claudia Fährenkemper
bildwiderstand. garzweiler in film und fotografie
Laurenz Berges
bildwiderstand. garzweiler in film und fotografie
Gábor Fekete
Trilogie BRAND, 2018